Angst
Ich habe Angst, seit ich 19 bin. Damals, ich hatte einen Tag vorher meine Ausbildung zur Gardinenfachverkäuferin abgeschlossen, stand ich im Supermarkt und bekam ganz plötzich Todesangst. Total irrational, nicht zu begreifen. Keiner von meinen Freunden konnte es besser machen, noch in derselben Nacht hatte ich meine erste Therapiesitzung. Seitdem ist viel Zeit vergangen und ich habe einen (für mich) guten Umgang mit dieser Angst gefunden, aber ich weiß immer noch ganz genau, wie sie sich anfühlt.
Im Moment haben ganz viele Menschen um mich herum Angst. Die meisten sind geschwächt von zwei Jahren Corona und sehr leicht angreifbar geworden. Ich habe auch Angst, aber ich entscheide, mich ihr entgegenzustellen und ihr den Mittelfinger zu zeigen.
Natürlich kann es passieren, dass irgendwas Beliebiges Dich plötzlich trifft und Du auf der Stelle tot umfällst. Ein Blumentopf zum Beispiel, den der Wind vom Fensterbrett im 5. Stock geweht hat. Oder eine Autotür, die aufschwingt, während Du mit dem Fahrrad an ihr vorbeifährst.
Es ist nicht so wahnsinnig unwahrscheinlich, dass Dein Herz stehenbleibt oder Dir ein Blutgefäß platzt. Oder das irgendwas anderes in Deinem Körper versagt.
Es kann passieren, dass irgendwo auf der Welt ein Verrücktgewordener entscheidet, einen Krieg anzuzetteln und so viele Unbeteiligte wie möglich zu involvieren. So vieles kann eskalieren, oder schiefgehen, oder nicht funktionieren.
Ich habe einen Sohn. Der kleine Kerl ist eben erst 8 Jahre alt geworden und ich habe Angst um ihn. Dass er in einer Welt voller Ungerechtigkeiten aufwächst, dass er die Auswirkungen des Klimawandels mit aller Wucht vor die Füße gekotzt bekommt. Ich mache mir jeden Tag Sorgen um ihn. Aber ich will ihn zu einem empathischen, starken, loyalen und lebensfrohen Menschen heranziehen und bisher habe ich das ziemlich gut hinbekommen. Okay, mein Mann hat auch einen kleinen Teil dazu beigetragen. Natürlich rede ich mit ihm, meinem Sohn, über die Dinge, die in dieser Welt geschehen, aber ich versuche, ihm keine Angst zu machen.
Im Augenblick sehe ich mich herausgefordert, mit etwas umzugehen, was ich nicht ändern kann. Ich kann nicht beeinflussen, dass sich an der grundlegenden Situation etwas ändert, aber ich kann reagieren. Ich kann versuchen, die Menschen, denen es jetzt richtig schlecht geht, zu unterstützen. Indem ich Geld spende zum Beispiel. Weil ich selbst nicht so wahnsinnig viel habe, das ich hergeben könnte, verkaufe ich Soli-Seifen und spende den Erlös zu 100 % an Vostok SOS. Das kann ich auf jeden Fall tun. Oder ich krame meinen Kleiderschrank aus und spende Klamotten. Oder ich nehme Menschen bei mir auf. Oder, oder, oder. Es gibt so viel, was ich grad tun kann. Ein guter Nebeneffekt – die Angst wird leichter, je mehr ich im Fluss bin. Ich bin nicht mehr gelähmt, ich kann handeln und Entscheidungen treffen. Wir können der Angst begegnen, immer!
Sicher wird irgendwann mal das Licht ausgehen, aber hab’ bitte keine Angst, denn das wird nicht jetzt sein. <3
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