Eine kleines Sache vorweg - ich kann mir keine Gesichter merken. Wenn du in meinen Laden kommst, um ein Stück Seife zu kaufen und ich dich dann später auf der Straße treffe, werde ich dich sicherlich nicht erkennen. 

Letzte Woche Donnerstag war ein Regentag. In Berlin schüttete es bereits den ganzen Tag und ich rechnete mit wenig bis keiner Kundschaft im Laden, also werkelte ich im Hintergrund.

Ich war also grad dabei, irgendeine Kompetente A zu einer Komponente B zu kippen, da klingelte die Ladentür. Drin stand ein Typ mit nem Regenschirm, der sehr nett erschien und mir sogleich begann, seine Story zu erzählen. Er sei ein Nachbar, ich würde ihn ja kennen, weil er täglich sein Motorrad neben meinem Laden parke, er hätte abends eine Party auszurichten, sein Partner sei aber grad nicht zuhause und die Weinlieferung stünde kurz bevor. Leider sei ihm seine Barschaft ausgegangen, ob ich ihm vielleicht für ne halbe Stunde was leihen könnte. Der Wein käme per Nachnahme. 

Mein erster Impuls war natürlich: nein, auf gar keinen Fall gebe ich dir Geld, denn ich habe dich noch nie in meinem Leben gesehen. Er aber beharrte so locker und nett darauf, dass wir uns kennen würden, dass ich irgendwann einknickte und ihm das Geld gab. Es waren 35 Euro. Eine psychologische Schmerzgrenze. Er ließ mir als Pfand seinen vermeintlichen Motorradschlüssel da, von dem ich bis jetzt nicht weiß, ob so überhaupt Motorradschlüssel aussehen. 

Natürlich kam er nie wieder und ich schämte mich ein bisschen, dass ich auf ihn reingefallen war. Trotzdem tippte ich eine Warnung in eine Friedenauer Facebook-Gruppe, weil ich davon ausgehen musste, dass der Kerl das hauptberuflich macht und andere warnen wollte. Die Reaktionen waren teilweise sehr hämisch, kannst du dir ja vorstellen. Was die Menschen schrieben: „Dazu fällt mir nichts ein. (Ich gehe davon aus, hier war meine Dummheit gemeint)“ oder „Man darf niemandem vertrauen.“

Was ich dazu sage: Nein! 

Warum sollte ich mir von einem Typen, der so niedrig schwingt, dem echtes Glück vermutlich schwer begegnen wird, mein Vertrauen nehmen lassen? Natürlich wird mir das nicht nochmal passieren und selbstredend tun mir die fehlenden 35 Euro ziemlich weh und ja: mir ist es auch ein bisschen peinlich, das zu erzählen. Aber was soll’s? Ich vertraue trotzdem weiter, weil mich das glücklich macht. 

Dem Mann wünsche ich, dass er sich von dem Geld einen großen Berg Spaghetti-Eis gekauft hat und ich hoffe, dass er erkennt, dass sich sein Beruf auf Dauer nicht auszahlen wird. Mehr nicht, kein Blitz beim Scheißen, keine Verhaftung, keine schlimmen Konsequenzen. Einfach nur Eis und Erleuchtung.